Wednesday, November 22, 2006

FEAR OF GOD - shirt





Eines von unzähligen1 umherschwirrenden Fear Of God Shirts, aber in dem Fall wohl mit Einverständnis der Band; gedruckt von Skrupel Leuten oder RSR, lasse mich hier aber auch korrigieren.

Mit Sicherheit eine der großartigsten Bands, die die Stromgitarre hervorgebracht hat und ohne die vieles im Noisecore und Grindcore Sektor nie herausgekommen wäre (was manchmal positiv ist, aber mich meist eher genervt abwinken lässt, wenn man bedenkt, was der Bereich so hervorgebracht hat und hervorbringt, bzw. was für eine Müllhalde daraus wurde - alleine der Fear Of God Wahn inkl. einhergehender Bootlegs in den 90ern war eher erst recht der Sargnagel als alles andere). Wie auch immer: für einen kurzen Augenblick war das eine ganz spannende Sache mit dem 'richtigen Ohr zur richtigen Zeit'.


Oder recht subjektiv im Essay zur "Zeitgeist" Discographie:



"Zeitgeist


„Anti-art was the start
establishments like a laugh
yes we‘re very entertaining
overtones can be betraying“
(X-Ray Spex, „i am a poseur“, 1978)



Unfall

Eigentlich hat die ganze Geschichte angefangen interessant zu werden, als irgendwann in den späten 60er Jahren der englische Hilfsarbeiter Toni Iommi bei einem Arbeitsunfall zwei Fingerkuppen verliert. Kurze Zeit später trifft er einen komischen Typen namens John Michael Osbourne und gründet 1968 Black Sabbath.
1968. Woodstock. „Studentenrevolte“. Mein Geburtsdatum auch, in doppeltem Sinne: Die Musik, die später mein Leben bestimmen sollte, erblickte zeitgleich mit mir das Licht der Welt. Meines war das der Neonröhre im Kreißsaal von St. Gallen, unweit von der Bar „Blauer Aff“, in der Black Sabbath zwei Jahre später spielen werden, mitten im berüchtigten, aber dann doch sehr kleinen Rockerviertel des Kaffs.

Ein Unfall also brachte diese Musik hervor (ob dies auch für meine Existenz gilt, kann ich nicht sagen). Der Soundtrack der ewig Pubertierenden, der Underdogs, der Gernegroßen und der Verlierer. Entstanden durch einen Arbeitsunfall eines Hilfsarbeiters in Birmingham, einer Stadt, die langsam zerbröckelte, so wie ein paar Jahrzehnte zuvor das britische Empire zu zerfallen begonnen hatte. Die Sonne begann nun doch auf englischem Grund unterzugehen und die Vampire des Thatcherismus wurden schon ganz kribbelig in ihren Mausoleen der Macht.
Der Niedergang des Empire. Die ideologische Krise des Kapitalismus in den 60ern. Der Hilfsarbeiter mit den zwei fehlenden Fingergliedern in der einstigen Handelsmetropole. Die Musik, die aus dieser Krise geboren wurde. Eine Kette, die diese Brocken mühsam zusammenhalten soll. Bilder, die allesamt zum Thema passen.
Ist dieser Bezug zu groß gewählt? Was hat poplige Weltgeschichte zu tun mit primitiver Musik, die im wesentlichen auf drei Akkorden beruht?

MC 5 oder die Stooges, die Ramones oder die New York Dolls, das waren Rockbands. Schneller, härter, abgedrehter als ihre Vorgänger und genial auf ihre Weise, aber musikalisch blieben sie dem Rock verbunden. Black Sabbath machten was neues. Behinderte spielen halt anders.
Trotzdem: die Ironie dieser Geschichte ist grossartig - Heavy Metal und auch Punk können auf die verkrüppelten Finger eines englischen Hilfsarbeiters zurückgeführt werden. Nicht ausschliesslich und nicht ohne notwendige Ergänzungen und sicher auch nicht ohne Widerspruch derjenigen, die das hier lesen. Geschichtsschreibung ist nunmal ein Handwerk, bei dem zurechtgebogen und glattgehämmert wird, dem schönen Bilde wegen.
Aber trotzdem: eine mögliche Lesart ist es. Sie gefällt mir. Meine Musik ist das Produkt eines Arbeitsunfalls. Ist das nicht ein gleichermassen grotesker, wie epischer, tragischer wie fantastisch anmutender Bezugsrahmen?


Überfall

Der andere Teil der Geschichte, die Mitte der 70er Jahre, ist ungleich interessanter. Punk. Dada für Prolls und Pennäler.
Nach der ideologischen Krise kam dann postwendend die materielle. Profitraten sackten ab, Buchhalter fälschten Bilanzen was das Zeug hielt und zwei, drei Sonntage lang durfte sich auf den Autobahnen das Konsumvolk mit Rollschuhen und Fahrrädern vergnügen. Man hatte ja Zeit, die blauen Briefe machten den Postboten die Taschen schwer.Toll. Freizeit lag auf der Strasse.
In London, New York, Los Angeles und sogar Zürich begann es zu krachen. Fachleute streiten sich in immer häufiger werdenden Publikationen zum Thema darüber, wo es denn zuerst gewesen sei. Fakt ist: eine Unzahl neuer Bands sproß bald wie Atompilze aus den Böden. Die Namen sind bekannt, auch wenn sie, ich erwähnte es bereits, in die Tausende gehen mögen.
Die Instrumente waren angespitzt, der Frontalangriff auf die lahmarschige Hippie-, und Rockdinosauriergesellschaft hatte begonnen. Bald sollte er schon wieder vorbei sein. „Bei Punk spürte ich: Das ist das erste Mal, dass Musik eine Regierung stürzen könnte.“, meinte einer von DAF rückblickend dazu. Naja. Schön wär‘s gewesen.
Schnell verebbte die Welle, wurde von der Industrie aufgesogen oder erging sich, wie ihre musikalischen Väter und Mütter, in langweiligen Artsyfartsy-Eskapaden.

Im Mai 1980 kam es vor dem Opernhaus in Zürich zum Knall. Die „Kulturleichen“ wollten Freiräume statt Bonzenkultur. Die Bullen wollten die „Kulturleichen“ nicht vor dem Opernhaus. Gummigeschosse, Tränengas und Pflastersteine eröffneten den Reigen. Ein paar Tausend Bob Marley Fans torkelten etwas später bekifft vom Hallenstadion in die Innenstadt hinunter und plünderten, was das Zeug hielt. Am nächsten Morgen war eine neue „Jugendbewegung“ geboren. Man wollte ein AJZ und zwar subito. Man sollte es bald kriegen und wieder verlieren. Man sollte damit erfolgreich an der Grundsteinlegung für die heutige Party- und Sexy-Szene beteiligt sein. Ein voller Erfolg also.

In andern Städten, in denen es ebenso zu brodeln angefangen hatte, nicht überall so lang andauernd und erdbebenhaft, wie in Zürich, trat die dritte Punkgeneration auf den Plan. Die Musik wurde derber, besser, fing an, sich von den Majorlabels abzunabeln. In Zürich wurden dafür massenweise neue Junkies ausgebildet, die sich täglich zu Aberhunderten trafen, um der glotzenden Bürgermeute eine ungesehene Varieténummer der Generation vorzuführen, der man ganz ganz kräftig auf die Köpfe geschissen hatte.
Die Squats, von denen es beinahe überall Unmengen gab, wollten unterhalten werden. Was liegt näher, als dass sich Idioten bald überall dieser Räume anzunehmen begannen? Hardcore-Punk nannte sich das. Man wollte es nochmals wissen.

Zeitgleich nahmen die Nickelbrillen und Wollpullis wieder überhand. Man war unheimlich gegen Krieg, machte sich Sorgen um den heimischen Wald und träumte von einem bisschen Frieden. Überall, sogar vor dem Migros in Herisau, in dem Scheisskaff, in dem ich damals vegetierte, saßen junge Leute mit Gitarren im Schneidersitz rum, quäkten langweilige Songs und waren nett zueinander.
Tragisch alles.


Abfall

Tragisch war auch die Geschichte von FEAR OF GOD. Eine Band, die es eigentlich kaum je gegeben hat. Ein paar mal proben, ein paar Auftritte und ein Studiobesuch. Das war‘s. Besser: das war der eine Teil davon. Was zu FEAR OF GOD geführt hat, soll das Thema dieses Textes sein und eines der Resultate dieser Geschichte ist vorliegende Doppel-LP.
Die Geschichte von FEAR OF GOD nachzuerzählen ist nicht einfach. Nicht, weil es die Band lange gegeben hätte oder weil es viel zu erzählen gäbe über die unmittelbaren Ereignisse, sondern weil FEAR OF GOD in ihrer ganzen Beschränktheit paradigmatisch für radikale Untergrund-Kultur des späten 20. Jahrhunderts stehen könnte. Weil FEAR OF GOD einen Trend miteingeläutet hatten, der zu massenhaft peinlichen Bands und ansehnlichen Umsätzen in der CD, T-Shirt und Körperschmuck-Industrie führen sollte, aufs Innigste mit Punk, wie mit Metal verwandt, doch genauso anders, genauso neu. Aber wie andere Bands der ersten Generation von irgendwas, so machte sich auch FEAR OF GOD schnell wieder aus dem Staub. Andere Bands folgten nach, noch idiotischere, und machten aus dem Noisecore / Hardcore Ding eine Komödie, in der es nur noch darum gehen sollte, möglichst viele Songs auf eine Platte zu kriegen oder möglichst derbes Gegrunze zu fabrizieren. In einem Wort: ein weiterer beschissener Trend.
Wir haben es bewiesen: wir können weder Regierungen stürzen, nicht mal richtig ins Wanken bringen wir sie und der Bildersturm blieb aus. Keine Kulturrevolution im Bankenland.

Ich würde sogar behaupten, dass es spätestens nach 1988, dem Jahr, in dem FEAR OF GOD sich aufgelöst hatten, keine Underground-Szene im herkömmlichen Sinn mehr gab.
Die Zeit war vorangeschritten und hatte, ähnlich wie ein wandernder Gletscher, ein Trümmerfeld zurückgelassen.


Rückfall

Black Sabbath kämpften zu Beginn wohl genauso gegen die Rockdinosaurier an, die sie erst möglich gemacht hatten, die ihre Geburtshelfer (und ihre Totengräber) waren, wie der Dinosaurier Black Sabbath später zum Teil des monolithischen Establishments geworden war, der die Kids überall dazu brachte, selber Musik zu machen.
Im selben Verhältnis, in dem Songs wie „N.I.B.“ zur erdrückenden Spiessergesellschaft ihrer Zeit standen, waren „Anarchy in the U.K“ , „White riot“ oder „N.Y. Punks“ ungehörte Ausbrüche derselben Teen-Angst einer nachrückenden Generation. Die Rebellion war nie fruchtbarer und nie bedrohlicher als 1976-79.
Leider hatte ich damals nicht viel davon mitbekommen. Nur die bunten Haare, die ich für einen Modegag hielt (was sie dann ja auch waren) und in Herisau, in den Voralpen, in diesem beschissenen Dorf, nur mit „New Wave“ assoziiert waren und „New Wave“ war für mich nur Pop für Besserverdienende (auch das stimmte).
Auf unsere Weise waren wir damals in diesem Kuhdorf die Ersatzpunks. Wir rotzten genauso die Passanten an, fuhren mit geklauten Mofas rum, malten Graffiti, schlugen uns die Köpfe ein und versuchten einfach, so nervig wie möglich zu sein. Nur stand auf meiner Lederjacke „Venom“ und mein Iro war eine blonde Matte.
Ich hatte um 1981 angefangen, „New Wave of British Heavy Metal“ (NWOBHM) Bands zu hören. 1981 war das Venom‘s „In league with Satan“ Single, bald gefolgt von „Welcome to hell“, dem Album, das alles andere einfach weggeblasen hat. Die AJZ-Bewegung hatte mich nur am Rande interessiert und was ich an Punk kannte (Sex Pistols, diverse „New Wave“ Bands), das war mir zu langweilig.
NWOBHM wäre ohne Punk nicht denkbar gewesen, genauso wie Punk ohne die Metalbands der 70er nicht stattgefunden hätte. NWOBHM nahm die Energie des Punk auf und trug sie in die Heavy Metal Szene. Das Resultat waren einige wunderbare, in ihrer Unbekümmert- und Echtheit genauso hoch zu schätzende Platten, wie die frühen Punkperlen. Blitzkrieg, Aragorn, Avenger, The Hell, Venom - warum wird heute keine solche Musik mehr gemacht?
Bands auch, die rund zwei Jahre später weitere Gruppen beeinflussen sollten. Slayer, Metallica, Anthrax - undenkbar diese immer schneller und härter werdende Musik ohne Black Sabbath, ohne Punk und ohne NWOBHM.
Auf der Punkseite bildete sich wiederum, ebenfalls in den späten 70ern, frühen 80ern die Hardcore-Bands heraus (erstes Vinyldokument: Middle Class „Out of vogue“ 7“ von 1978), die den Ball vom NWOBHM aufnahmen und ihrerseits den Niedergang des Punk, oder „New Wave“, wie er von der Industrie bald umgetauft werden sollte, vorantrieben: Black Flag, Circle Jerks, dann die furiosen D.R.I., The Fix, Negative Approach, Deep Wound, SSD, Minor Threat, Discharge oder etwas später die unerreichten Siege - alle waren sie Kinder der Dinosaurier und alle wollten sie ihre Überväter nach griechischen Vorbild auffressen, um sich von ihnen zu befreien.
Der Gegensatz Punk - Metal, den es rückblickend betrachtet so absolut gar nicht gibt, zumindest auf der Untergrund-Ebene. Die Schnittstellen waren es, die die Radikalisierung vorantrieben und den jeweiligen Vatermord zum Ziel hatten. Musikalisch schienen seit Wretched oder auch Pandemonium aus Holland die Grenzen abgesteckt (um nur die zwei zu nennen, denn es gab Hunderte solcher Bands), genauso wie beim Metal seit Hellhammer, Possessed und Death. Aber dann kamen wieder die Verlierer ins Spiel. Die Idioten sozusagen. Ich war einer von ihnen.


Ernstfall

Man könnte behaupten, wenn man es von einem rein technischen Standpunkt aus betrachtet, dass es stets die weniger talentierten, die noch schlechteren Musiker und Musikerinnen waren, die den Status quo angegriffen und neu definiert haben. Heißt es, einem Kulturpessimismus das Wort zu reden, wenn ich behaupte, dass die Geschichte des Punk- und Metal-Undergrounds von einer stetigen musikalischen Abwärtsbewegung bestimmt wurde? Man könnte es jetzt natürlich schöner ausdrücken und geschwollener und dürfte so mit Begriffen wie „Vereinfachung“ oder „Dekonstruktivismus“ operieren. Aber seien wir ehrlich - wir Idioten haben Musikgeschichte geschrieben. Wir, die wir anfangs zwei Fingerkuppen zu wenig hatten und mit diesem Handikap neue Arten, Gitarre zu spielen, erfinden mussten und die wir später dann gar keine Gitarren mehr hatten (auch keine Computer oder DJ-Plattenspieler, den die waren nur der vom Zeitgeist auferlegte Zwang, Gitarren durch was moderneres zu ersetzen - der Leistungsirrglaube blieb, diese wahnwitzige Idee, immer der beste sein, etwas „leisten“ zu müssen).
TM, mit dem ich das MEGAWIMP Fanzine und OFF THE DISK RECORDS betrieben hatte ca. 1985 ein geniales Tape aufgenommen, Blood Munster, auf dem eine Kuckucksuhr zum Einsatz kommt und als Hauptinstrument eine alte mechanische Schreibmaschine. Bei Atta, mit denen bei mir alles 1984 angefangen hatte, waren‘s Staubsauger, kaputte Radios und Küchengeräte, sowie eine Waschtrommel. Wer erinnert sich dabei nicht an Pfurri, Gorps und Knirri, wie sie mit Müllsäcken und Abfall als Instrumenten einen beinahe-Hit landeten, schunkeltauglich allerdings, doch ein Schritt in die richtige Richtung. Oder die genialen, leider vergessenen Lama aus Tibet? Ach, das sind nur noch Namen ohne Bedeutung.
Die Freejazzer Norbert Möslang und Andi Guhl, beide aus der Umgebung von St.Gallen kommend, hatten sowas noch früher gemacht, nannten es „Geknackte Alltagselektronik“. Sie liessen etwa einen umgebauten Plattenspieler auf dem Boden herumfahren und der tastete mit der Nadel den Boden ab, elektrisch verstärkt. Die Effekte waren in etwa gleich - ob diejenigen dieser Künstler oder von uns Idioten: der Krach schien für Aussenstehende derselbe zu sein.
Die Absicht dahinter, die Motivation, allerdings war verschieden. Sie machten es, weil sie genug geklimpert hatten und auch anders konnten, wir, weil wir einfach nichts anderes auf die Reihe kriegten. Idioten halt. (Aus dem gemeinsamen Projekt wurde dann aus diesen Gründen 1990 auch nichts.)

Diese Idioten konnten plötzlich nicht mehr genug kriegen. Lärm oder Second Hell reichten nicht mehr. Es musste mehr Krach her. Genocide Association aus Florida machten‘s vor mit ihrem genialen Tape: Musik, die sich selber auffrißt. Cyanamid mit ihrer unglaublichen „Stop the world“ EP - das war‘s! Nur brutaler noch musste die Musik werden, total abstossend - niemand sollte sich mehr amüsieren können, wenn FEAR OF GOD (zuerst noch „Bunch Of Lies (B.O.L.) genannt) kamen. Nun ja - der Erfolg war bescheiden. Als die göttlichen Mad aus New York ihre erste Single von 1978 mit „I hate Music“ veröffentlichten, schufen sie mit ihrem Versuch, die Musik zu zerstören den wahrscheinlich besten Song überhaupt. FEAR OF GOD hingegen brachten nur krachiges Zeug und noch schlechtere Nachfolger hervor. Wir hatten übersehen, dass man sich halt wirklich zu allem amüsieren kann. Nur schon die Sache mit den Splatterfilmen, die damals noch ein Schattendasein fristeten und gerade in der Noisecore-Szene starken Anklang fanden (inzwischen ist auch ihre Ästhetik bis nach Hollywood vorgedrungen). Das modernekritische, sozialrevolutionäre Element von „Night of the living Dead“, die existienzalistische Gedärmeerfahrung („Man Eater“) oder der Angriff auf den kapitalistischen Konsumkonsens in „Dawn of the Dead“: nichts davon spiegelte sich in den Rezeptionen der Bands wieder, die einzig die derbe Form dieser Filme aufnahmen – Carcass und Konsorten blieben artige Äffchen, die nachzumalen versuchten, was ihnen der Laborateur vorgesetzt hatte. So ergötzten sich also auch VegetarierInnen und Vegane an Splatterfilmen: man wollte im täglichen Leben zwar Lederschuhe nicht mal anfassen, fand es aber toll, wenn die Innereien auf der Leinwand noch dampfend verzehrt wurden.
Auch hier wurde schnell klar, welche Lesart sich durchsetzen würde. Der Beliebigkeitswahn natürlich, die Angewohnheit, von allem nur noch die Oberfläche wahrzunehmen und ihre Erscheinungen wild durcheinander zu bringen. Splatterfilme sind dafür ein günstiges Spielfeld und so sind sie mittlerweile zum integralen Bestandteil der urbanen Pudelrudel geworden: Filmblut ist hip und Tarantino „kultig“. Der Song „My Hands deep in your Guts“ sollte eine Persiflage auf dieses Genre sein, doch Knappheit ist nicht immer das probateste Mittel ....
Ebenso reproduziert der in der Punk und Hardcore Szene häufig rezipierte SM-Sex, respektive dessen Ästhetik, im munter beklatschten Kapitalismus nur noch das Herr-Knecht-Verhältnis und stellt es nicht mehr in Frage, wie es De Sade tat, als entfesselter Freigeist, dessen politisch zu Bedeutung gekommenes Bürgertum euphorisch und rücksichtslos die Räume auszuloten versuchte, die ihm plötzlich zugänglich waren.

Punk und Hardcore und alle ihre Subgenres waren eine Totgeburt, ein Anachronismus: Die Territorien, die neu ausgeforscht werden sollten, deren Eroberung Freiheit zu versprechen schien - es waren nur Trugbilder. Wir rebellierten mit aller Kraft gegen eine Wirklichkeit, deren realer Horror die unsrigen Versuche, ihn abzubilden, lächerlich erscheinen liess: Was sind Anti-Apartheid-Songs gegen die Schüsse von Soweto gewesen? Discharge‘s (Anti-)Kriegshymnen gegen die Greuel von Afghanistan (vor 20 Jahren, wie heute)? Die Antiseptik derVerwesungstexte x-beliebiger Goresplattergrindbands gegen den Gestank eines Leichenhauses?
Wir blieben Idioten. Wir richteten uns ein in unserer Szene, verzichteten für ein, zwei Jahre auf den Mehrwert, bis die ersten Aufstandsverwalter den neuen, lukrativen Fischteich gesichtet hatten. Aus den Idioten wurden so Dummköpfe.

Hinfall

Was diese Diskographie im besten Fall dokumentieren kann, ist der Moment, in dem alles den Bach runterging. 1987 und 1988 gingen die 80er Jahre frühzeitig zu Ende. Was so toll angefangen hatte mit den Krawallen in den Metropolen, der Radikalisierung des Punk und der Hardcore-Explosion, ging nach wenigen Jahren zu Ende. Der Markt hatte ungeheuer schnell reagiert und der Machtkonsens der Akteure wurde schnell umgesetzt. An die Stelle von Rebellion trat das Posen. Piercings ersetzten Schlagringe und auch die Instrumente wurden teurer. Die CD verdrängte das Vinyl, eine vom Konsum betäubte Jugend drängte in die subkulturellen Nischen, um sich den aktuellsten Kick versetzen zu lassen. Man brauchte uns bald nicht mehr. Die Idioten sitzen heute, wie ihre Vorgänger, in den Chefatagen oder einsam in ihren Sozialwohnungen, umgeben von Plattensammlungen, die täglich älter werden - alles ist zersplittert, die Fäden verlieren sich.

Dieses System, das seine Tentakeln ausgebreitet hat, seine Tentakeln hat wachsen lassen, in die hintersten und letzten Winkel seiner Gesellschaften. Das alles und alle in Ware verwandelt. Das uns den letzten Raum ausserhalb seiner selbst streitig macht und das letzte Stückchen unserer selbst umschlingt.
Hegel sah den Weltgeist am Werke, wenn Geschichte „passierte“, Karl Marx und Friedrich Engels beschworen das Gespenst des Kommunismus, das die Totenglocken des alten Systems zum klingen bringen würde, bei Fehlfarben stürzten beim „Geschichte machen“ Spacelabs auf Inseln. Heute aber sitzt uns allen der Zeitgeist auf den Gesichtern. Nur wenige noch versuchen, ihn da wegzustoßen, um endlich wieder atmen zu können. Es ist ja alles so schön bunt hier."



1 eine der meist gebootleggten Bands aller Zeiten?

3 comments:

Erich said...

Ja da schau her! Danke für die netten Worte; man merkt, dass ich Dir noch Geld schulde. Ha.

Das T-Shirt ist ebenso ein Bootleg und wenn das der Skrupel Sven war, der es gedruckt hat, dann enttäuscht mich das; man weiss ja, wie ich oder Dave zu erreichen sind. Es gab zu Lebzeiten übrigens nie offizielles Mörchändaising von der Band, sieht man von Aufklebern und ein paar handgemachtne Badges ab. Das Shirt in der Brasilien Box war offiziell (posthum) und dasjenige, das ich gerade eben trage, das wir an den 2003er Konzerten vertickt haben (also das mit dem Hammer Männchen drauf und dem kleinen, silbernen Schreibmaschinenschrift-Logo).
Naja.

Erich said...

Und zum Essay: Diese Tentakel-Metapher am Ende ist etwas unheimlich, haha. Und dieses Leiden am beschädigten Leben.

Meine Güte, bin ich froh, dass heute selbst das Wetter poststrukturalistisch ist!

Anonymous said...

Mann, was ein Mist hier geschrieben wird....Warum wird hier versucht der dalaigen Szene etwas zuzuschreiben was sie nie will wirklich sein wollte? Spaß an der Sache nennt sich sowas.